This is a cache of https://www.gleichstellungsministerkonferenz.de/save/index.php?seite=beschluss&bereich=beschluesse&thema_id=1062&action=anderer_themenvorschlag&beschluss_id=736&geklickt4=geklickt. It is a snapshot of the page at 2025-04-01T00:49:56.118+0200.
Hauptkonferenz der 34. GFMK in Ludwigsburg 2024 TOP 9.1: Union der Gleichheit erreichen: EU-Gleichstellungsstrategie weiterentwickeln Beschlüsse

Interner Bereich der GFMK

User: Search | 01.04.2025

Hauptkonferenz der 34. GFMK in Ludwigsburg / 13.06.2024 - 14.06.2024

TOP 9.1: Union der Gleichheit erreichen: EU-Gleichstellungsstrategie weiterentwickeln

  Beschluss:
155 kB
Beschluss

Erstellt am:
09.07.2024 (13:19:47)
Beschluss:

1. Die GFMK begrüßt die EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020 bis 2025 als einen der wichtigsten Schritte der amtierenden EU-Kommission hin zu dem Politikziel einer Union der Gleichheit und würdigt unter Bezugnahme auf ihren Beschluss TOP 5.1 der 30. GFMK 2020 insbesondere die Umsetzungserfolge der Strategie im Bereich der Rechtssetzung.
2. Nach Ansicht der GFMK kann eine über 2025 hinaus fortgeschriebene
EU-Gleichstellungsstrategie eine unionsweite Garantie gegen demokratiefeindliche, ins-besondere antifeministische Bewegungen bieten, indem sie die Union der Gleichheit kon-sequent weiter voranbringt und auch tatsächlich erreicht. Diese ist im Interesse einer nachhaltigen und sozial gerechten Entwicklung der Union im lichte der Zielsetzungen vor allem der UN-Agenda 2030 sowie internationaler Rechtsinstrumente weiterzuentwickeln.
3. Vor diesem Hintergrund fordert die GFMK die Bundesregierung auf, sich mit Nachdruck in den für 2024 auf europäischer Ebene beabsichtigten Verhandlungen über eine mögliche Fortschreibung der EU-Gleichstellungstrategie für folgende Themen einzusetzen:
a) konsequente Anwendung von Gender-Mainstreaming einschließlich Genderbudge-ting im EU-Haushalt und allen unionsweiten Förderstrukturen nach einheitlichen Kriterien,
b) insbesondere geschlechtergerechte Fortentwicklung der EU-Kohäsionspolitik auch nach dem Jahr 2027, einschließlich des Beibehaltes der Förderung eines ge-schlechtergerechten Strukturwandels in geeigneter Form,
c) Umsetzung von Politikfeld übergreifenden gleichstellungspolitischen Aktionspro-grammen / Strategien auf allen staatlichen Ebenen als allgemeine Voraussetzung für die Inanspruchnahme von EU-Förderungen sowie deren gezielte finanzielle Förderung,
d) umfassende Gewährleistung der ökonomischen einschließlich der digitalen Gleichstellung von Frauen, um eine individuelle wirtschaftliche Unabhängigkeit über den gesamten Lebensverlauf zu gewährleisten und insbesondere Frauenar-mut in all ihren Facetten zu verhindern bzw. einzudämmen,
e) nachhaltige Sicherung und Stärkung der reproduktiven Selbstbestimmung von Frauen sowie
f) vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention, insbesondere durch eine Harmo-nisierung der Regelungen zum Schutz von Frauen vor Gewalt auch unter Berück-sichtigung der Besonderheiten des digitalen Raumes (Cybergewalt).
4. Die Mitglieder der GFMK bitten das Vorsitzland, diesen Beschluss der Europaministerkon-ferenz (EMK) mit der Bitte um Unterstützung zuzuleiten.

Begründung:
Zu 1)
Die GFMK hat sich zuletzt auf der 30. GFMK 2020 mehrheitlich für eine kraftvolle Umsetzung der EU-Gleichstellungsstrategie 2020 bis 2025 ausgesprochen, die seitens der EU-Kommission am 8. März 2020 auf dem Höhepunkt der Covid19-Pandemie lanciert worden war . Die Schaffung einer intersektional angelegten Union der Gleichheit ist die wichtigste Priorität der EU-Kommission und umfasst vielfältige Strategien und Maßnahmen, wobei der zentrale Baustein die EU-Gleichstellungsstrategie ist. Insbesondere durch die Verabschiedung der darin avisierten Sekundärrechtsakte EU-Entgelttransparenzrichtlinie und der EU-Aufsichtsrätinnenrichtlinie, die über die geltenden Regelungen in Deutschland weit hinausge-hen, wird die Gleichstellung künftig unionsweit gefördert. Ebenso ist die 2024 erfolgte Eini-gung auf die EU-Gewaltschutzrichtlinie zu begrüßen.
Zu 2)
Das zunehmende Erstarken demokratiefeindlicher Bewegungen auch in Europa, einschließ-lich des Antifeminismus (vgl. TOP 5.1 der 34. GFMK 2024), ist ein Angriff auf die Werte der Europäischen Union, dem eine fortgeschriebene kraftvolle EU-Gleichstellungsstrategie etwas entgegensetzen kann. Ein Indiz für eine beabsichtigte Fortschreibung des Instruments EU-Gleichstellungsstrategie seitens der EU-Kommission ist die aktuelle Befassung des beraten-den Ausschusses für Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern. Diese ist zwingend, da die Europäische Union für die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele eine Führungs-rolle beansprucht . Dementsprechend ist die Implementierung von Geschlechtergerechtigkeit als zentrales Zukunftsthema der UN-Agenda 2030 (UN-Nachhaltigkeitsziele 5 sowie 8 und 10), einschließlich der Beseitigung von Frauenarmut (UN-Nachhaltigkeitsziel 1), als eine Ver-pflichtung unabhängig vom Turnus der EU-Organe zu betrachten. Einzubeziehen sind dabei weitere internationale Rechtsinstrumente wie die UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW), die wie die Agenda 2030 Orientierung für Unionspolitiken bietet sowie die Istanbul-Konvention, die nach dem Beitritt der Europäischen Union seit 2023 unionsweit in Kraft ist.
Zu 3)
Aus Sicht der GFMK sollte es in der fortzuschreibenden Strategie insbesondere um folgende verbleibende mittel- und langfristige Herausforderungen zur Herstellung von Gleichstellung der Geschlechter gehen:
a.) Gender-Mainstreaming, einschließlich Genderbudgeting, ist endlich im EU-Haushalt und in allen unionsweiten Förderstrukturen nach einheitlichen Kriterien anzuwenden. In der laufenden Förderperiode erfolgte beispielsweise die Trennung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) von den Kohäsionsfonds. Die GAP unterliegt nicht mehr der Dachverordnung der Ko-häsionsfonds 2021/1060, sondern verfolgt in der aktuellen Förderperiode eine eigene Konditi-onalität, die die Gleichstellung von Frau und Mann jedoch (noch) nicht beinhaltet.
b.) Die Kohäsionspolitik nach 2027 ist geschlechtergerecht fortzuentwickeln. In diesem Zu-sammenhang wird angeregt, eine soziale Konditionalität mit Fokus Geschlechtergleichstellung und Sanktionierung einzuführen. Förderkriterien für Innovation und Investition sollten daran ausgerichtet werden, wie die Lebenswelten und Verwirklichungschancen von Frauen und Männern konkret verbessert werden können. Die Förderung eines geschlechtergerechten Strukturwandels sollte in geeigneter Form entweder durch die entsprechend ausgestaltete Weiterführung des Just Transition Fonds oder einer ähnlichen Förderung erfolgen. Dabei sollte die Beteiligung von bisher unterrepräsentierten Gruppen gestärkt werden (mehr Bottom-up-Prozesse ähnlich den der bürgerschaftlichen Beteiligung in den Werkstatt-Prozessen zur Transformationsregion Lausitz ). In Verantwortung der Zuwendungsgeber ist die Pro-grammförderung für kleine Träger zu vereinfachen, indem sie bürokratiearm ausgestaltet wer-den und z. B. Eigenanteile auch durch Länder-Kofinanzierung erbracht werden können. Ferner sollten länderübergreifende Twinning-Programme im Bereich Gewaltschutz/Strukturaufbau Istanbul-Konvention, Schwangerschaftskonfliktberatung und anderen Frauenberatungsstruktu-ren sowie Existenzgründungen ermöglicht werden. Twinning-Programme werden bisher als Instrumente der EU für die institutionelle Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Verwal-tungen der EU-Mitgliedstaaten und (potentiellen) Beitrittsländern sowie weiteren Partnerlän-dern umgesetzt. Mit dem Ziel der grenzüberschreitenden Vernetzung, dem Wissenstransfer z. B. zwischen frauenpolitischen Organisationen und der Verbesserung transnationaler zivilge-sellschaftlicher Projekte soll das bisherige Twinning-Instrument ausgebaut werden. Insbeson-dere der Wissenstransfer zu Kampagnenarbeit, Organisationsstrukturen, Fundraising könnte für die Stärkung der gleichstellungspolitischen Akteurinnen und Akteure vor dem Hintergrund erstarkender antifeministischer Kräfte nützlich sein, zumal diese bereits grenzüberschreitend agieren. Die Kohäsionsfonds sollten ferner in geeigneter Weise für den Ausbau von Kinderbe-treuung- und Pflegeinfrastrukturen und für eine stärkere Verknüpfung von Investitionen mit Gleichstellungszielen geöffnet werden.
c.) Die Umsetzung von Politikfeld übergreifenden gleichstellungspolitischen Aktionspro-grammen/Strategien auf allen staatlichen Ebenen soll eine allgemeine Voraussetzung für die Inanspruchnahme von EU-Förderungen werden. Darüber hinaus sollen finanzielle Förder-möglichkeiten für die Entwicklung und Umsetzung von gleichstellungspolitischen Aktionspro-grammen/Strategien für die regionale und lokale Ebene durch die EU eingerichtet werden so-wie die Aufforderung an die Mitgliedstaaten ergehen, ebenfalls selbst und fördernd für die re-gionale und lokale Ebene aktiv zu werden.
d.) Ein zentrales Thema sollte die Gewährleistung der ökonomischen Gleichstellung von Frauen werden, um eine eigenständige Lebensabsicherung im Lebensverlauf zu gewährleis-ten und Armut zu verhindern bzw. einzudämmen. Frauen tragen nach wie vor die Hauptlast der unbezahlten Care-Arbeit in den Familien und nutzen öfters Teilzeit als Männer, was ihre Chancen im Erwerbsleben beeinträchtigt. Zugleich erhöht die Digitalisierung die Geschlechte-rungerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Das anhaltende Eintreten z. B. für die Überwindung von Geschlechterstereotypen und eine gerechte Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit als auch für eine geschlechtergerechte Digitalisierung ist unabdingbar für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Arbeitswelt und in allen anderen Bereichen der Gesellschaft. Her-auszustellen ist, dass Geschlecht ein Armutsrisiko ist und als solches in all seinen Facetten die Entfaltung des Potenzials von Frauen sowie die Wahrnehmung von Frauenrechten gemäß CEDAW und weiterer internationaler Rechtsinstrumente behindert. Zu nennen sind insbeson-dere folgende geschlechtsbezogene Armutsrisiken:
? Altersarmut (v. a. aufgrund der geschlechtsspezifischen Lohn- sowie Rentenlücke, Teil-zeitproblematik und prekäre Beschäftigung, Risiko Familienform Alleinerziehende),
? Energiearmut (v. a. aufgrund niedrigen Haushaltseinkommens, steigenden Energieprei-sen, Wissenslücken, unzureichend gedämmter sowie bezahlbarer Wohnraum; gesundheit-liche Auswirkungen durch biologische Unterschiede),
? Zeitarmut (v. a. überproportionale Arbeitsbelastung durch Teilzeit sowie Sorge- und Pfle-gearbeit) und
? Armut aufgrund häuslicher Gewalt (v. a. sozialer Abstieg, gesundheitliche Auswirkungen).
Das EU-Parlament fordert bereits seit Juli 2022 eine übergreifende EU-Strategie zur Armuts-bekämpfung mit Schwerpunkt auf Frauen und greift Teilbereiche, wie Energiearmut, auf .
e.) Die Stärkung der reproduktiven Selbstbestimmung von Frauen bleibt weiterhin ein TOP-Thema und wird nachdrücklich seitens des EU-Parlaments gefordert. Dies beinhaltet in Umsetzung von CEDAW u. a. den Zugang zu sicherem Schwangerschaftsabbruch, den dis-kriminierungsfreien Zugang zu Verhütungsmitteln, den ungehinderten Zugang zu Informatio-nen, die Gewährleistung einer angemessenen Qualität der medizinischen Versorgung im Be-reich der reproduktiven Gesundheit, insbesondere im Hinblick auf den Schwangerschaftsab-bruch.
f.) Zu fordern ist schließlich eine vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention, ein-schließlich eines verstärkten Schutzes von Frauen vor Gewalt insbesondere im digitalen Raum (Cybergewalt). Hierbei handelt es sich um eine neue Qualität der geschlechtsspezifi-schen Gewalt sowie von Gewaltformen durch Digitalisierung im Zuge der COVID19-Pandemie in Fortsetzung der verschiedenen Gewaltformen, die offline gegen Frauen gerichtet sind. So begrüßenswert die aktuellen Bemühungen zur Regulierung des digitalen Raumes auf EU-Ebene, wie der Digital Services Act (DSA), der geplante Artificial Intelligence Act (AIA) sowie die Maßnahmen gegen Desinformation auch sind, reichen diese jedoch nicht aus, um einen umfassenden Schutz für Betroffene von Cybergewalt zu gewährleisten. Schulungen für Fach-kräfte in Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen sowie Fachberatungsstellen zur Absicherung von Endgeräten sorgen für etwa eine sich zügig einstellende Umsetzung in der praktischen Arbeit mit Betroffenen. Gleichzeitig erkennt die GFMK auch auf EU-Ebene Prüfbedarf hinsicht-lich etwaigem gesetzgeberischem Tätigwerden mit Blick auf mögliche Schutzlücken in ein-schlägigen straf , zivil- und netzrechtlichen Regelungen.
Zu 4)
Durch den Vorsitz soll der Beschluss der Europaministerkonferenz als zuständige Fachminis-terkonferenz, die im Wechselspiel mit der formellen Beteiligung der Länder über den Bundes-rat auf Grundlage von Artikel 23 Grundgesetz die gemeinsamen europapolitischen Interessen der Länder bündelt und sowohl gegenüber dem Bund als auch den europäischen Institutionen artikuliert, mit der Bitte um Unterstützung zugeleitet werden. Dies betrifft insbesondere die Empfehlungen unter Ziffer 3b) zur Kohäsionspolitik. Für die 96. EMK am 20./21. November 2024 ist die Beschlussfassung der Bund-Länder-Stellungnahme zur Zukunft der Kohäsionspo-litik geplant. Eine Beteiligung der Fachministerkonferenz ist im Vorfeld nicht mehr beabsichtigt und möglich.


 


zurück